Endlich ist es soweit. Nach Jahren in einer der vielen Mietskasernen kann die Familie Kobayashi endlich raus aus dem Moloch und in ein kleines, aber feines Vorstadthäuschen ziehen. Alle sind begeistert und besonders Vater Katsuhiko, der stets das Wohl seiner Familie im Sinn hat, fühlt sich als hätte er es endlich geschafft. Zu Beginn scheint auch alles ganz gut zu laufen, mal abgesehen von einer einzelnen weißen Ameise die Katsuhiko auf dem neuen Hund seines Sohnes Masaki entdeckt. Doch mit einer nächtlichen Insektenvernichtungssprayaktion ist die Bedrohung schnell abgewandt.
Doch dann quartiert sich plötzlich der Großvater bei ihnen ein. Eigentlich lebte er ja bei Katsuhikos Bruder, doch der hat den alten Mann kurzerhand vor die Tür gesetzt, weil er es nicht mehr mit ihm ausgehalten hat. Also quartiert sich der Alte einfach bei ihnen ein und übernimmt auch gleich die Kontrolle.
Doch das führt zu Reibereien mit dem Rest der Familie und der grade so schön gewonnene Frieden droht sich in Luft aufzulösen. Da hat Katsuhiko die scheinbar rettende Idee. Das Haus muss unterkellert werden um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, den der Großvater dann nutzten kann. Also gesagt getan, Katsuhiko nimmt Bohrer und Schaufel in die Hand, reißt den Fußboden raus und beginnt zu graben. Doch der Bau des Kellers gerät immer mehr außer Kontrolle und als Katsuhiko dann auch noch auf ein ganzes Nest voll weißer Ameisen trifft, ist die Katastrophe perfekt.
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Was Sogo Ishii ( Electric Dragon 80.000 V) hier praktiziert hat ist nicht nur der Krieg einer Familie, sondern der Krieg einer ganzen Kultur.
Dabei fängt alles so schön an. Das neue Haus, die zufriedene Frau, die niedliche Tochter und der Sohn, der einen neuen Freund gefunden und sein Ziel, die Uni, nicht aus den Augen verloren hat. All die Probleme der beengten und unfreundlichen Mietskaserne scheinen bewältigt zu sein. Katsuhiko hat seine Familie endlich geheilt. Doch der Frieden währt nur kurz. Mit dem Großvater kommt eine weitere Person ins Haus und wieder reicht der Platz nicht und auf einmal sind alle Symptome wieder da. Die Frau kann sich nicht beherrschen, die Tochter lebt im Idol-Wahn und der Sohn verkriecht sich in seinem Zimmer und schottet sich von der Außenwelt ab. Und dazu nun auch noch der rücksichtslose Mistkerl von Opa, der sich auch nicht scheut im Park kleinen Kindern Bälle ins Gesicht zu werfen um sich zu amüsieren. Und mitten drin ein Mann der es sich zur Aufgabe gemacht hat seine Familie zu heilen und unfähig ist dabei zu bemerken wie ihn alle eigentlich nur ausnutzten. Jeder auf seine weise. Sein Sohn droht ihm z.B. mit Liebesentzug. Ist das Verhältnis so schon recht unterkühlt, worunter der Vater sehr leidet, so fängt er auch noch an Katsuhiko in der dritten Person anzusprechen als wäre er irgend ein Fremder, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht. Dessen Vater wiederum drückt lieber auf die Tränendrüse und spielt den Verstoßenen, der vollbepackt allein in die Welt hinauszieht. Nur um im nächsten Moment wieder seine Geringschätzigkeit seinem Sohn gegenüber raushängen zu lassen.
Der sieht nur einen Ausweg, er muss seine Familie heilen. Der Keller erscheint ihm dabei als einzige Möglichkeit und so steigert er sich immer weiter rein in seinen Wahn. Das Haus wird zur geheiligten Festung, sein Erhalt und Ausbau zur höchsten Lebenspriorität. Arbeit und Sex zählen nicht mehr. Als dann auch noch die Ameisen (eigentlich wohl eher Termiten, aber im Film ist immer von Ameisen die Rede) das Haus bedrohen eskaliert die Situation völlig.
In dem Moment in dem Katsuhiko erkennt das all seine Bemühungen nichts mehr bringen sieht er nur noch einen Ausweg um zu verhindern das seine Familie völlig verrückt wird, sie müssen alle sterben.
Im darauffolgenden Kampf ziehen sich alle völlig in ihre Rolle zurück. Die Mutter mutiert zur Kampfhausfrau mit Topf aufm Kopf und Küchensiebpanzer, der Sohn wird zum Superstreber mit Pyramidenhut und Baseballschläger, die Tochter zur Catcherin, der Großvater entdeckt seine Soldatenuniform wieder und der Vater wird zum ultimativen Heimwerker. Der Rest ist nur noch Wahnsinn, eingefangen ich tollen Bildern. Ob nun der Filmstreifenvorspann, Hitchkock-like "wegfahr-ranzoom"-Kameratrick im Büro, die lange Frontperspektivenkamerafahrt mit Katsuhiko der durch die Stadt rennt oder die 1st Person Bohrerattacke, der Film fährt so einiges auf, was ihn auch rein visuell sehr interessant macht.
Sehr schön sind auch die U-Bahn Szenen, in denen Katsuhiko sich in völlig überfüllte Züge quetschen muss. Ein weiterer Seitenhieb auf die beengten Verhältnisse in japanischen Großstädten, die ihren Bewohnern kaum mehr Platz zum atmen lassen. Überhaupt ist der ganze Film eine einzige Gesellschaftskritik, in der die Familie und das Haus nur Symbole sind. So ist die letztendliche Lösung dann auch der gemeinsame Abriss des frisch erworbenen Eigenheims. Die Familie fängt noch einmal neu an. Nicht in einem neuen Haus, aber in einem neuen Zuhause, mit genug Freiheit für jeden. Ein schönes Bild, das den Film perfekt abschließt.
Bis dahin gilt es aber erst mal einiges an makaberen und geradezu grausam lustigen Familienterror zu überstehen. Manches mal bleibt einem das Lachen fast schon im Halse stecken. In diesem Punkt ist der Film übrigens recht verwand mit dem späteren "Visitor Q" von Takashi Miike. Ishii setzt aber mehr auf Humor und weniger auf Tabubruch.
Ich kann "Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb" nur wärmstens empfehlen, der Film ist wirklich toll und teilweise richtig schön böse. Gesellschaftssatire der japanischen Art. ;)
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