Der gut gebildete, handwerklich begabte, junge Tae-suk verdient sein Geld damit Speise- und Werbekarten für die verschiedensten Restaurants auszutragen. Dabei nutzt er diese gleich noch für seine eigenen Zwecke, denn sind die an die Türen geklebten Speisekarten am nächsten Tag noch da, so scheinen die Wohnungsbesitzer gerade nicht da zu sein und ihre leeren Wohnsitze dienen Tae-suk als Unterschlupf für einige Tage.
Doch er ist nicht darauf auf etwas Wertvolles zu erbeuten oder gar die Häuser zu verwüsten. Stattdessen behandelt er seine geliehene Umgebung mit Respekt und als Gegenleistung dafür, dass er sich aus den Kühlschränken bedient, erledigt er kleinere Arbeiten und Reparaturen im Haushalt.
Eine verhängnisvolle Wendung nimmt sein Nomadenleben allerdings, als er eines Tages in die noble Villa eines Geschäftsmannes einzieht. Das Haus ist nicht so verlassen wie er dachte und so trifft er auf Sun-hwa, ein ehemaliges Model, die sich unter der strengen und oftmals gewalttätigen Hand ihres Gatten fast völlig in sich selbst zurückgezogen hat.
Zwischen den beiden einsamen und stummen Seelenverwandten beginnt sich daraufhin eine Beziehung zu entwickeln und als er Sun-hwa nach der Rückkehr ihres Ehemannes vor einem Übergriff von eben diesem retten, beschließt sie fortan mit Tae-suk durch die Stadt zu pilgern.
Doch ihr harmonisches Zusammensein findet ein hartes Ende, als sie in einer Wohnung die Leiche eines älteren Mannes finden und am Ende verhaftet werden. Während Sun-hwa zurück zu ihrem Mann gebracht wird, klagt man Tae-suk wegen Mordes, Einbruch und Entführung an und wirft in schlussendlich wegen letzteren beiden ins Gefängnis.
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Wenn Kim Ki-duk, eines der Aushängeschilder des modernen koreanischen Films, einen eben solchen dreht, dann kann man sich zumeist zwei Sachen vorher schon sicher sein. Erstens, dass man kaum von Dialogen erschlagen werden wird, und zweitens, dass man sich auf ein paar wirklich traumhafte Bilder freuen darf. Natürlich gibt es wie überall auch ausnahmen, aber diese beiden Punkte ziehen sich doch als ziemlich dicker roter Faden durch das bisherige schaffen dieses Regisseurs, Drehbuchschreibers, Produzenten und Malers (und was noch alles, Tierquäler vielleicht).
"Ich sehe etwas, das ich nicht verstehe, und mache einen Film darüber, um es zu begreifen.", hat Kim Ki-duk einmal über seine Motivation Filme zu machen gesagt.
Was mag es also gewesen sein was er nicht verstanden hat und was dann in "Bin-Jip" endete?
Die Liebe, eine bestimmte Art von Liebe, Einsamkeit, das überwinden von Einsamkeit, Frei sein, um was geht es speziell, was ist die Grundessenz hinter den leeren Häusern?
Liebe und Einsamkeit spielen zumindest auf jeden Fall mit rein.
Unsere beiden Heroen sind beide einsam. Er weil er allein ist und sie obwohl sie nicht allein ist, aber beide haben nur sich. Diese eine Sache verbindet sie schon, bevor sie sich überhaupt kennen lernen. Aber auch darüber hinaus scheinen sie wie für einander geschaffen zu sein. Schon beim Anblick ihrer Bilder scheint Tae-suk sich in Sun-hwa zu verlieben und spätestens als er ihr verletztes Gesicht und ihre Verzweiflung sieht, ist es vollends um ihn geschehen. Bei ihr dasselbe in grün. Seine respektvolle Behandlung des Hauses und sein ungefragtes kümmern um kaputte Sachen und die dreckige Wäsche verspricht bereits den netten, aufrichtigen, zärtlichen und mutigen Mann, der sie dann später vor den gewalttätigen Übergriffen ihres Gatten rettet.
So verstehen sich die beiden sofort und ohne Worte, so wie auch wir sie und den Film ohne Worte verstehen können. Die Bildpoesie spricht hier für sich. Die kleinen Gesten und Blicke der beiden erklären uns mehr als tausend Worte.
Doch ist soviel Glück nicht viel zu schön um ewig zu währen?
Der Höhenflug der aufkeimenden Liebe scheint beiden den Kopf etwas zu vernebeln. Das beginnt bei ersten Unvorsichtigkeiten in den fremden Häusern, die nach einer ordentlichen Portion Alkohol mit der Entdeckung durch die eigentlichen Besitzer und einer schmerzhaften Trachtprügel und endet damit, dass Tae-suk aus versehen eine Frau schwer verletzt. Ein Vorfall über den der, bis dahin eigentlich so sensible junge Mann, selbst mit den Tröstungen seiner neuen Gefährtin, die immer versucht hat ihm vom "Golfen" abzuhalten, erstaunlich leicht hinwegkommt. Soll das die Macht der Liebe sein, die einen so ein Unglück schnell vergessen lässt?
Ich muss sagen, dies ist die einzige Stelle im Film wo mir die Aussage, die er da trifft, doch etwas seltsam erscheint.
Aber die Gerechtigkeit (oder von mir aus auch göttliche Strafe) findet wohl doch immer einen Weg und so werden die beiden dann doch noch gewaltsam durch die Staatsmacht auseinander gerissen. Zu Unrecht, aber vielleicht doch zu recht für seine vorherige Tat, sitzt Tae-suk also letztlich in Haft und Sun-hwa muss zurück zu ihrem Mann.
Doch beide haben aus ihrer Zweisamkeit längst neue Kraft und Hoffnung geschöpft. Sun-hwa kann sich endlich gegen ihren Mann auflehnen, ja schlägt so gar einmal zurück und weist ihn so in seine Schranken. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen gibt ihr Kraft und lässt sie an die Orte zurückkehren, an denen sie die letzten paar Wochen verbrachte.
Und auch Tae-suk entwickelt sich in seiner Zelle weiter. War bisher eher wie ein Heinzelmännchen, das ungesehen ins Haus kommt wenn niemand da ist und Sachen repariert, so will er jetzt vollends zu einem Geist werden und erreicht diese Ziel letztendlich auch unter schmerzhaften Lektionen.
Als er endlich wieder in die Freiheit entlassen wird, ist die Zeit gekommen seine neuen Fähigkeiten zu nutzen. Er nimmt Rache an seinen Peinigern und besucht noch einmal seine Wirkungsstätten der letzten Zeit. Man könnte sich an dieser Stelle allerdings fragen, warum er nicht gleich zum Haus von Sun-hwa geht, das wäre doch viel logischer? Aber vielleicht braucht er einfach noch einmal ein paar Versuche zum üben?
Oder er will allen noch einmal eine Erinnerung hinterlassen?
Oder vielleicht fand es Ki-duk auch einfach nötig uns seine neuen Fähigkeiten noch mal vor Augen zu führen?
Schluss endlich gelangt er aber dahin wo wir ihn die ganze Zeit schon gerne sehen möchten und worauf wir gespannt warten, zu Sun-hwa.
Spätestens hier verlässt der Film dann auch endgültig rein rationale Wege und steigt in höhere Sphären auf.
Unbemerkt von deren Mann, der sich über die neu gewonnene gute Laune seiner Frau wundert, lebt Tae-suk fortan mit seiner Geliebten zusammen, die hier auch ihre ersten und einzigen Worte spricht.
Zu schön inszeniert sind diese letzten Momente des Films um sie wirklich passend wiedergeben zu können. Kinomagie pur, die einem da vorgeführt wird.
Das letzte Bild sind dann Sun-hwa und Tae-suk in inniger Umarmung auf der Waage, die trotzdem 0kg anzeigt. Ein Ende das natürlich mal wieder alles offen lässt.
Ist das vermeintliche Happy End jetzt überhaupt eins?
Vielleicht stehen diese 0kg ja nur symbolisch dafür, dass jetzt die harte(schwere) Zeit vorbei ist, für das sprichwörtliche Gefühl des Schwebens auf Wolke 7. Vielleicht ist Tae-suk aber auch mehr geworden als er wollte, ein wirklicher "Geist". Vielleicht lebt er schon gar nicht mehr, seine "Besuche" in den Wohnungen nur in den Räumen verbliebene Erinnerungen und sein Wiedersehen mit Sun-hwa nur in deren Fantasy?
Aber dann müsste die Waage ja wenigstens ihr Gewicht anzeigen, oder?
Sind am Ende gar beide tot? Nur noch Geister, er gestorben im Gefängnis (die Wache hatte ja gedroht sie schlägt ihn tot) und sie ermordet von ihrem Mann? Sind es nur zwei Geister die am Ende sich gegenseitig gesucht und dann gefunden haben, wo sie sich einst trafen?
Auch dagegen spricht aber einiges, und so bleibt das Ende halt das was es ist, offen.
Aber ist ja eigentlich auch egal wie es nun wirklich gemeint ist, beide sind vereint und das ist es auf was es hier ankommt, ob nun im Leben oder im Tode. Ki-duk Filme waren noch nie für klare Abschlüsse bekannt.
Was also bleibt ist eine, auch mit ihren dramatischen Momenten, absolute feel good Geschichte, gekleidet in wunderschöne Bilder voll Poesie und Liebe, untermalt mit einem sehr stimmigen, ruhigen Score. Ein Film nach dessen Sehen man sich einfach besser fühlt. Ein Film zum einfach wirken lassen, ihn zu analysieren und zu sezieren macht ihn eigentlich nur kaputt (Schande über mich). Ein Film den man lieber fühlen als verstehen sollte. Liebe eben.
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