12 Jahre ist es inzwischen her, dass Shigas bester Freund Tatsuhiko bei einer Bergexpedition ums Leben kam. Dabei sollte es seine letzte Tour werden, hatte er doch geheiratet und eine 3jährige Tochter.
Umso betroffener ist Shiga als sich plötzlich Tatsuhikos Frau bei ihm meldet und fragt ob er Megumi, ihre Tochter, gesehen hätte, sie wäre seit Tagen nicht nach Hause gekommen.
Gleich am nächsten Tag macht sich Shiga auf den weg nach Tokyo um nach dem Mädchen zu suchen, doch ist er erschüttert darüber was in den Nachtvierteln der großen Stadt so vor sich geht, in denen sich Megumis Spur verliert und steht schließlich vor einer scheinbar nicht zu überwindenden Mauer des Schweigens und der Vertuschung, die das Verschwinden des jungen Mädchens umgibt.
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In "Die Stadt und das Mädchen" erzählt Jiro Taniguchi, einer der international bedeutendsten japanischen Mangaka, vom verschwinden eines jungen Mädchens in der Großstadt und entwickelt dabei eine spannende Kriminalgeschichte rund um das Thema Enjokosai, die "gesponserten Verabredungen" bei denen sich (oft noch minderjährige) Mädchen gegen Bezahlung (Geld oder Geschenke) mit älteren Männern verabreden und teils auch Sex mit ihnen haben.
Genau bei so einer Verabredung verschwindet also auch das Mädchen um das es in dieser Geschichte geht und der alte Bergsteigerfreund ihres Vaters kommt nun in die große Stadt um sie zu retten.
Das Bergsteigen ist ja generell ein großes Thema für Taniguchi und in dem eher zurückgezogen lebenden Bergbewohner findet er auch genau den passenden Protagonisten, der einerseits rau und charmant genug ist und durch seine selbst gewählte Abgeschiedenheit die richtige Distanz zum Großstadtleben hat um noch erschüttert über die dort herrschenden Verhältnisse zu sein und somit der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und anzuklagen.
Allerdings nicht auf plakative Weise, großspurige Töne passen nicht zu Taniguchi, sondern in gewohnt sensibler und ruhiger Art. Zwar kann "Die Stadt und das Mädchen" nicht die, teils fast schon meditative, Stimmung von "Träume von Glück" oder "Vertraute Fremde" erreichen, aber Taniguchi zeigt auch hier warum er immer wieder als großer Szenarist gelobt wird. Seine Fähigkeit Stimmungen ganz still über seine Bilder und besonders Mimik der Figuren zu vermitteln, ist besonders im sonst oft eher lauten Mangagenre, das gern mit Grimassen und sonstigen Überzeichnungen aller Art arbeitet, eine wohltuende Abwechslung und wohl auch wichtiger Grund warum er immer wieder in nahe Verbindung mit dem europäischen Comic gebracht wird. Doch auch die besondere, filmische Dynamik, die wiederum die japanischen Mangas auszeichnet, beherrscht er perfekt und kann mit, über mehrere Panels gehenden, "Kamerfahrten" über Berglandschaften genauso beeindrucken.
Einzig die eigentliche Geschichte schwächelt für meinen Geschmack am Ende dann doch ein bisschen und gleitet mit der schlussendlichen Besteigung des Hochhauses doch ziemlich vom realistischen Anfang ab, was ich etwas übertrieben fand.
Dafür weiß es Taniguchi aber geschickt immer wieder sozialkritische Akzente zu setzen, ob er nun eine Freundin der Verschwundenen an einer Straße kauern und sich nach der Aufmerksamkeit ihrer Eltern sehnen lässt oder seinen Helden bei seinen Nachforschungen immer wieder die Antwort "kann mich nicht erinnern, solche Mädchen gibt es doch zuhauf" zu hören gibt, es bleibt kein Zweifel daran das wir hier kein seltenes Einzelschicksal zu sehen bekommen, sondern Eines exemplarisch für viele.
Und wie immer hält Taniguchi sich auch mit eindeutigen Schuldzuweisungen zurück, auch wenn es am Ende natürlich klar einen Bösen und einen strahlenden Helden gibt, aber wie alles soweit kommen konnte, dafür bringt er keine einfache schwarz/weiß Antwort, sondern zeigt viel mehr das auch die besten Kinder abrutschen und das auch die Eltern die sich am meisten darum bemühen für ihr Kind alles gut und richtig zu machen vielleicht gerade dadurch wichtiges verpassen können. Auch wenn diese Ansätze, im Vergleich zu seinen persönlicheren Werken, etwas hinter der "Detektivgeschichte" zurückstehen.
So kann ich am Ende auch diesen Taniguchi Manga jedem der nach etwas ernsthafterer Kost sucht nur empfehlen, er kommt nicht ganz an seine Meisterwürfe heran, ist aber immer noch ein tolles Erlebnis und ist durch seine, etwas mehr auf Spannung ausgelegte, Geschichte vielleicht sogar ein guter Einstieg in Taniguchis Werk.
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