Mit "Der spazierende Mann" liefert Jiro Taniguchi ein Loblied aufs Spazieren gehen, dieser typischen Wochenend-Familienbeschäftigung, die wohl für die meisten Kinder früher oder später zum No-Go wird.
Doch mit der Zeit ändert sich das wieder und aus Kindern/Jugendlichen die lieber daheim oder bei Freunden bleiben werden wieder Spaziergänger, denen eines Tages dann ihre eigenen Kinder nicht mehr mitkommen wollen. Der typische Spaziergängerkreislauf.
Unser namenloser Spaziergänger im Manga geht nun aber über dieses typisch spießige Spazierengehen hinaus, er entdeckt, erlebt und genießt auf einer höheren Ebene. Er flaniert könnte man vielleicht sagen, wäre damit meist nicht gleich so etwas dandyhaft eingebildetes verbunden. ER spaziert nicht um sich zu zeigen, sondern um sehen.
Er ist auch irgendwie verrückt, ganz unkonventionell, steigt Nachts schon mal ins verschlossene Schwimmbad ein um nackt eine Runde durch den Pool zu drehen. Er ist auch spontan, steigt mitten auf seiner Linie aus dem Bus aus, weil er plötzlich einen interessanten Weg gesehen hat und diesen erkunden will. Oder er zwängt sich durch engste Räume zwischen Häusern um zu sehen wo diese hinführen. Alles Sachen die wir vielleicht einem Kind noch durchgehen lassen würden, aber sicher nicht einem erwachsenen Mann.
Er stößt uns wohl auch etwas vor den Kopf damit, das er sich diese Freiheiten herausnimmt, dabei ist es wohl weniger seine Unvernunft die uns so ärgert, sondern einfach unsere eigene Verklemmtheit, die uns nicht gestattet uns selbst so frei zu fühlen.
Aber wenigsten bleibt uns dieser Manga. In ihm können den Spaziergänger begleiten, können mit ihm seine Welt entdecken, all die kleinen alltäglichen Wunder, für die man in seiner eigenen Umgebung schon längst keinen Blick mehr hat, erleben und davon träumen auch auf diese Art und Weise Spazieren gehen zu können.
Wir können uns in den ruhigen, fast schon meditativen, Bildern mit ihren klassischen, sauberen Panels verlieren, können stellvertretend durch die Hauptfigur unsere Neugier und Entdeckerlust ausleben, die wir im Alltag eher an der kurzen Leine halten müssen und können unsere Gedanken schweifen und die Seele baumeln lassen.
Leider ist auch dieser Manga einmal ausgelesen, die letzte Seite umgeblättert, und dann sitzen wir da, wie zuvor. Aus der Traum. Wir wären gern wie er, sind es aber nicht.
So bleibt eine faszinierender Manga, ein gelungenes Plädoyer für die oft geforderte "Entschleunigung", dass allerdings wohl kaum mehr erreichen wird als all die anderen davor.
Aber auch wenn es daraus nichts wird, zumindest den Manga kann man ja immer wieder zur Hand nehmen und wenigstens auf diese Weise für ein kurzes Lesevergnügen seinem Alltag entfliehen.
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